VORWORT
[Krunoslav Stojaković, Leiter der Regionalbüros in Belgrad und Tuzla, Bosnien & Herzegowina]
Das 75. Jubiläum des Tags der Befreiung gibt Anlass, einer der größten antifaschistischen Bewegungen Europas zu gedenken: Der jugoslawischen Partisanenbewegung, die unter der Führung der Kommunistischen Partei zum größten antifaschistischen Volksaufstand zwischen 1941 und 1945 heranwuchs. In ihren Reihen kämpften, über die Antifaschistische Frauenfront organisiert, über 100.000 Frauen. Die jugoslawischen Partisanen kämpften an drei Fronten: gegen die deutschen und italienischen Besatzer, gegen einheimische Kollaborateure (in erster Linie die kroatischen Ustascha und serbischen Tschetniks), aber auch für eine grundlegende Veränderung der sozioökonomischen Verhältnisse. Sie strebten, allen Widerständen zum Trotz, eine soziale Revolution an; sie boten einer Bevölkerung, die zu dieser Zeit mehrheitlich in halbfeudalen Verhältnissen lebte, die Perspektive einer radikalen Emanzipation.
Das Belgrader Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat, zusammen mit dem in Zagreb lebenden Autor und Fotografen Davor Konjikušić, ein Buch zur Fotografie der Partisanen veröffentlicht, das einen einzigartigen Blick auf die Bewegung ermöglicht und zahlreiche Fotografien zum ersten Mal überhaupt der Öffentlichkeit zugänglich macht.
Nachdem die serbokroatische Ausgabe 2018 veröffentlicht worden ist, und nach den ersten öffentlichen Buchvorstellungen, vor allem in Zagreb und Belgrad, war uns allen ziemlich schnell klar geworden, welch eminent wichtigen Beitrag dieses Buch für die sowohl publizistische als auch akademische Auseinandersetzung mit dem im ehemaligen Jugoslawien grassierenden Geschichtsrevisionismus leisten kann. Die Vielfalt der dargestellten Szenen aus dem Alltag des Volksbefreiungskampfes, ihre Breite und die durch die Fotografen festgehaltene Unmittelbarkeit zeigen eine soziale Bewegung, die immer größere Bevölkerungsgruppen umfasste und zu einer Massenbewegung anwuchs. In der wichtigsten kroatischen Tageszeitung Jutarnji list (Morgenblatt) wurde das Buch vom bekannten Publizisten Jurica Pavičić gar als eines der einflussreichsten in 2019 eingestuft.
Die Größe und Bedeutung der jugoslawischen Partisanenbewegung im Blick habend, ist das Belgrader Büro nun bestrebt, das Buch auch einem deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Die Übersetzung des Buches ins Deutsche ist fertiggestellt, und falls es uns zeitnah gelingen sollte einen Verlag zu finden, der an einer Kooperation interessiert ist, sollte einer Jubiläumsausgabe nichts mehr im Wege stehen.
Als Einführung in den Inhalt des Buches veröffentlichen wir im Rahmen des Online-Dossiers „75 Jahre Befreiung“ einen Essay des Autors, der durch ausgesuchte Fotografien begleitet wird. Alle Fotografien sind dem Buch entnommen, viele von ihnen zum ersten Mal überhaupt veröffentlicht. Sie zeigen unterschiedliche Szenen aus dem Leben der Partisanen – Kämpfe, Kinder, Fluchtszenen, bekannte Persönlichkeiten, Kulturaufführungen, Porträts.
Die von der Kommunistischen Partei Jugoslawiens klug geführte und organisierte Partisanenbewegung zeigt uns heute, ebenso wie vor 75 Jahren, wie ausschlaggebend die Solidarität für antifaschistische, der Befreiung von Unterdrückung und Ausbeutung verschriebenen Bewegungen ist.
«ROTES LICHT» [Davor Konjikušić]
Das Buch Rotes Licht. Jugoslawische Partisanenfotografie und soziale Bewegung, 1941-1945 (dt. Arbeitstitel)ist eine umfassende Pionierstudie zur Fotografie der jugoslawischen Partisanen während des Zweiten Weltkriegs. Innerhalb der Partisanenbewegung kam der kulturellen Produktion eine wichtige Funktion für die Herstellung eines gemeinsamen, übernationalen Bewegungsnarrativs zu. Ihr Ziel war es, die Bevölkerung zum Zwecke ihrer Emanzipierung zu bilden und zu politischem Aktivismus zu animieren. Produziert wurde diese Kunst sowohl von professionellen Kunstschaffenden als auch von Amateurkünstlern, sie wurde aber auch von Menschen ohne jedwede Vorkenntnisse produziert, was indirekt zu ihrer Demokratisierung beitrug.
Zur Zeit der Pariser Kommune, der weltweit erstmals fotografisch dokumentierten Revolution, spielten die dabei geschossenen Bilder eine, für die Kommunarden leider lebensbedrohliche Schlüsselrolle, denn sie wurden zur späteren Identifizierung und – zumeist – anschließenden Exekution der Kommunarden benutzt. Die Rolle, die der Fotografie im jugoslawischen Partisanenkampf zukam, sollte für die Revolutionäre hingegen positiver besetzt sein: sie half den jugoslawischen Partisanen dabei, neben dem militärischen Sieg auch die kulturelle Hegemonie gegen militärisch und materiell weitaus potentere Feinde davonzutragen.
Fotografien bilden immer auch ein Archiv. Mit der Veröffentlichung dieses Buches wurde ein Archiv der Partisanenfotografie geschaffen, in das veröffentlichte und bisher gänzlich unveröffentlichte, wohlbekannten und neu entdeckte Bilder Eingang gefunden haben. Dieses Archiv ist abgedruckt in der zweiten, als «Fotoalbum»betitelten Hälfte des Buches.
Darin wird die Darstellung zahlreicher Aspekte des Partisaninnen- und Partisanendaseins analysiert: der Alltag in den befreiten Gebieten, religiöse und politische Freiheiten, Krieg und Kampf, die Rolle der Frau, Kunstproduktion und Ausstellungen, Siege, Niederlagen und vieles mehr. Besonders stolz sind wir darauf, zum ersten Mal überhaupt ein Gesamtverzeichnis aller Fotografinnen und Fotografen erstellt zu haben. Viele von ihnen haben den Krieg nicht überlebt – genau wie ihre Fotoarchive.
Das Hauptziel der Partisanenfotografie war es, nicht nur den bewaffneten Konflikt, sondern auch den Kampf um Repräsentation siegreich zu gestalten, trotz begrenzter Ressourcen. Im Hinblick auf ihre Ausstattung konnten die Fotografinnen und Fotografen allerdings bei weitem nicht mit der Propagandamaschine ihrer inländischen Feinde mithalten, und schon gar nicht mit den italienischen Faschisten und Nazis, die es bestens verstanden, die Fotografie als propagandistische Waffe einzusetzen. So verfügten gerade die Nazis mit den Propagandakompanien der Wehrmacht über äußerst gut organisierte Propagandaeinheiten.
Unser Ziel war es, die Partisanenfotografie möglichst nicht unter dem alleinigen Gesichtspunkt der Agitation und Propaganda zu betrachten, sondern auch die politische Dimension der Fotografie an sich zu untersuchen.
In seinem bekannten Aufsatz «Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit» schreibt Walter Benjamin einerseits, dass die Fotografie die Aura des Kunstwerks unwiderruflich zerstört, andererseits aber das Potential hat, «revolutionäre[] Forderungen in der Kunstpolitik» hervorzubringen. Gerade die Partisanenfotografie verwischte die Grenze zwischen Autor und Öffentlichkeit, wodurch sie der avantgardistischen Idealvorstellung Walter Benjamins ziemlich gut entsprach.
Die Fotografie hatte für die Partisanenbewegung eine wichtige Rolle beim Herbeiführen gesellschaftlicher Veränderungen gespielt. Neben Berufsfotografen waren auch Laien aktiv, sie wurden im Laufe des Partisanenkampfes im Umgang mit Kameras geschult. Ihre Fotografien wurden für Flugblätter und in Zeitungen verwendet sowie zu Dokumentfälschungen, zur Erstellung eines Archivs des Partisanenkampfes und auch für Ausstellungen in den Städten und Wäldern der befreiten Gebiete.
In der Partisanenfotografie zählte nur die «Innensicht», die Grenze zwischen Objekt und Subjekt war aufgelöst. Zunächst war die Partisanenfotografie auch noch nicht Teil eines zentralisierten Agitations- und Propagandasystems. Ganz im Gegenteil: Bis 1943 waren die Fotografinnen und Fotografen weitgehend sich selbst überlassen. Die italienische Kapitulation 1943 vergrößerte schließlich den Handlungsspielraum für die Partisanen und ihre Fotografie. Allmählich ließ auch die politische Zurückhaltung der Vereinigten Staaten und Englands nach, die Partisanen wurden als einzig nennenswerte antifaschistische Bewegung auf dem Territorium des okkupierten Jugoslawiens anerkannt. Im Verlauf des Jahres 1944 fand dann eine Systematisierung der Fotoproduktion durch zentrale Fotodienste und Agitations- und Propagandabüros (Agitprop) statt, welche das gesamte Kulturschaffen unter ihre Kontrolle brachten.
Das Buch trägt der Partisanenfotografie aber auch in ihrer Propagandafunktion Rechnung, unter Berücksichtigung ihre begrenzten technischen Mittel. Als Propaganda-Instrument funktionierte sie in erster Linie als Überbringerin der Nachricht vom Aufbau einer neuen Welt. Gleichzeitig diente sie dazu, möglichst breite Bevölkerungsmassen zur Beteiligung an diesem Aufbau zu gewinnen. Die Partisanenfotografie musste von Anfang an die Balance halten zwischen künstlerischem Freiraum und späteren Versuchen, sie in ein umfangreiches Informations-und Propagandasystem zu integrieren. Die Fotografinnen und Fotografen mussten jederzeit damit rechnen, dass nicht nur ihre Negative (und somit ihre Archive) vernichtet werden konnten, sondern auch sie selbst. Dieses Risiko ist mit ein Grund dafür, dass ihnen das militärische und politische Oberkommando der Partisanenarmee einen so großen Spielraum und weitgehende Meinungsfreiheit zugestand.
Wie faszinierend ihr Unterfangen war, veranschaulicht der Umstand, dass die jugoslawische Nachrichtenagentur Tanjug (dt. «Nachrichtenagentur des neuen Jugoslawiens») bereits am 5. November 1943 gegründet wurde – vier Jahre vor Magnum Photos, der ersten international agierenden Fotoagentur. Viele der Partisanenfotografen erlernten ihr Handwerk – die Nachrichtenfotografie – im Krieg. Das ist durchaus bemerkenswert, denn das amerikanische Life Magazine, welches das Fundament für den modernen Fotojournalismus legte, wurde 1936 ins Leben gerufen – nur vier Jahre bevor sich die ersten Partisanenfotografen ans Werk machten.
Ein Großteil der hier abgedruckten Bilder wurde von anonymen Fotografinnen und Fotogrtafen gemacht, was ihrer Bedeutung aber keinen Abbruch tut. Im Kampf gegen den Faschismus verfolgten die meisten eine gemeinsame Idee: Sie verstanden sich und ihre Arbeit als Teil eines kollektiven, zweckgerichtetes Projekts.
Dieses Buch ist in einem gesellschaftspolitischen Kontext entstanden, in dem die kommunistisch geführte Partisanenbewegung, wie auch das jugoslawische Erbe insgesamt, politisch unerwünscht sind. Dies gilt für beinahe alle ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken, insbesondere aber für Kroatien und Serbien. Viele Archive bleiben für Forscherinnen und Forscher nach wie vor verschlossen, die Veröffentlichung eines Buches wie diesem wird dabei fast schon zu einem Akt von Zivilcourage. Ein Großteil des ehemaligen Partisanenarchivs, insbesondere die Negative, wurde nie professionell verwahrt, das Meiste dem Verfall überlassen. Gerade deshalb widersetzen sich die hier abgedruckten Bilder auch dem heutigen Geschichtsrevisionismus – sie zeigen die Partisaninnen und Partisanen als Freiheitskämpfer
Wie Didier Eribon in Rückkehr nach Reims schrieb, ordnet man bei der Betrachtung alter Fotos dort abgebildete Körper unmittelbar einer sozialen Klasse zu – und auch uns selbst schreiben Fotografien in unser jeweiliges Umfeld ein, sie verorten uns in einer kollektiven Geschichte und Geografie.
Angesichts der systematischen Vernachlässigung und Zerstörung von Archiven sowie der Fabrikation falscher Fakten in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens stellt das im vorliegenden Buch präsentierte Material eine Herausforderung dar. Unter den heutigen Umständen ist jede Recherche zur jugoslawischen Partisanenfotografie (und in dieser Hinsicht ist dieses Buch nur ein erster kleiner Schritt) ein unangenehmer Zeitzeuge, der sich den etablierenden antikommunistischen Narrativen entgegenstellt.
Rotes Licht zeigt, dass Fotografie in politischen Konflikten und Revolutionen, einschließlich der jugoslawischen Partisanenbewegung, eine zentrale und bedeutende Rolle spielt. Wir müssen uns von der Annahme ihre Unvoreingenommenheit lösen, denn es ist auch der Fotografie geschuldet, dass politische Konflikte gegenwärtig mehr denn je auf repräsentativer Ebene stattfinden.
Dieses Buch ist die Geschichte einer Bewegung, der es gelungen ist, unter widrigsten Umständen ein System aufzubauen, es dokumentiert ihre Kämpfe und Widersprüche. In gewisser Weise stellt dieses Buch auch die kolonialistische Perspektive des Balkans als Ort der Intoleranz und innerer Unruhen infrage. Eserzähltdie Geschichte eines siegreichen Kampfes gegen einen übermächtigen Gegner und des Erreichens von Idealen wie Bratstvo i jedinstvo ‒ Brüderlichkeit und Einheit, dies war eine der zentralen Losungen des jugoslawischen Partisanenkampfes. Die zentrale Stellung, die Fotografien heutzutage in politischen und sozialen Konflikten einnehmen, wirft die Frage nach ihrem Potential auf, die öffentliche Meinung zu verändern, neue Bereiche für den gesellschaftlichen Diskurs zu öffnen und globale Solidarität zu fördern. Im Grenzbereich von Kunst, Propaganda und Zeitzeugnis nahm sie bei den jugoslawischen Partisanen verschiedene Rollen ein, und war bei weitem nicht monofunktional – ihre Relevanz als politisches Massenmedium hat sich mit dem technologischen Fortschritt nur verstärkt.
Davor Konjikušić ist Journalist, bildender Künstler und Wissenschaftler. Er arbeitet zurzeit als künstlerischer Assistent an der Abteilung für Fotografie der Kunstakademie in Zagreb. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich mit der Frage von Identität, Migration und der Rolle von Fotografie in der Entstehung von Machtverhältnissen und Propaganda.
Krunoslav Stojaković ist Leiter der Regionalbüros in Belgrad und Tuzla [Bosnien & Herzegowina].