Kroatien nach den Wahlen – wenig Spielraum für die Linke
Eine Analyse der politischen Landschaft in Kroatien
Am 11. September fanden in Kroatien vorgezogene Parlamentswahlen statt. Diese wurden notwendig, nachdem die Vorgängerregierung, die sogenannte «Vaterländische» Koalition unter Führung der rechtskonservativen Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft [HDZ – Hrvatska demokratska zajednica] und der liberal-konservativen Listenvereinigung «Brücke» [MOST], aufgrund mehrerer Skandale im Juni diesen Jahres zurücktreten musste.
Im Vorfeld der Neuwahlen deutete alles auf einen Sieg der oppositionellen, sozialdemokratisch geführten «Volkskoalition» [Narodna koalicija] hin. Mit Zoran Milanović, dem ehemaligen Premierminister und derzeit Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei [SDP – Socijaldemokratska partija], verfügte die Opposition über einen erfahrenen Wahlkämpfer. Seine Kollegin und ehemalige Außenministerin Vesna Pusić galt lange Zeit als mögliche Kandidatin für den Posten der UN-Generalsekretärin.
Dem Gegenüber schien die HDZ politisch vollkommen desavouiert, intern zerstritten und ideologisch auf dem sicheren Weg ein kroatischen Ableger von Orbans Fidesz zu werden. Mit dem Rücktritt von Tomislav Karamarko vom Parteivorsitz und der Wahl von Andrej Plenković, einem innenpolitisch unerfahrenem EU-Parlamentarier, zum neuen Parteivorsitzenden griff die HDZ nach dem letzten verbliebenen Strohhalm um zumindest ein Wahldebakel abzuwenden.
Plenković gilt als angenehmer Gesprächspartner, zurückhaltend und kritisch gegenüber den nationalistischen und antikommunistischen Exzessen seines Vorgängers. Gleichzeitig aber auch als unbeschriebenes Blatt in der Innenpolitik. Zudem ist er erst spät (2009) in die HDZ eingetreten. Dass ausgerechnet er gegen den offensiv und selbstbewusst auftretenden Milanović einen erfolgreichen Wahlkampf führen könnte, erschien als wenig wahrscheinlich.
Wirtschaftspolitisch gibt es zwischen beiden Lagern nahezu keinerlei Unterschiede, beide waren und sind erprobte Vollstrecker jener wirtschaftspolitischen Grundsätze, die gemeinhin als Neoliberalismus bezeichnet und von europäischen und internationalen Institutionen als alternativlos dargestellt werden.
Verschiedene Ansichten gibt es bei allgemeinen Weltanschauungsfragen – die HDZ und ihre Klientel sind kirchennah, serbophob,ausgesprochen antikommunistisch und antijugoslawisch. Die SDP samt ihrer Wählerbasis gilt eher als säkular, antinational und indifferent gegenüber dem kommunistischen und jugoslawischen Erbe. Zieht man die politischen Eskapaden führender Minister der Vorgängerregierung hinzu (beispielsweise die öffentliche Negation des Antifaschismus und die Rehabilitierung führender kroatischer Faschisten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs), galt die SDP als sicherer Sieger der Neuwahlen.
Eine Wende trat aber mit dem als «geheim» geplanten Treffen zwischen Milanović und Vertretern militanter Veteranenverbände Ende September ein. Auf diesem Treffen, dessen Inhalt aufgenommen und später veröffentlicht wurde, agitierte Milanović gegen Serbien («ein Haufen Elend») und Bosnien-Herzegowina («gescheiterter Staat»). Gleichzeitig prahlte er mit seinem faschistischen Großvater, der scheinbar Mitglied der Ustascha-Bewegung war und im Zweiten Weltkrieg als Kollaborateur fiel. Die Veröffentlichung des Inhalts sorgte für einen Sturm der Entrüstung in den Nachbarländern.
Im Nachklang verurteilte die HDZ medienwirksam diese Aussagen. Als weitere Reaktion trat ihr Parteivorsitzender Plenković für gutnachbarschaftliche Beziehungen ein und bezeichnete Milanović als politischen Hooligan. Selbst die traditionell rechtsgerichteten und serbophoben Veteranenverbände verurteilten die antiserbischen Aussagen von Milanović. Milanovićs Versuch eines Schulterschlusses mit den Veteranenverbänden und einem rechten Wählerspektrum, das, so sein Kalkül, mit dem blassen EU-Bürokraten Plenković nichts anfangen könne, ging gründlich daneben. Dies sollte sich am 11. September bei den Wahlen dann auch im Ergebnis zeigen.
HDZ überholt Volkskoalition
Entgegen den meisten Prognosen, wurde die sozialdemokratisch geführte «Volkskoalition» nicht zur stärksten politischen Option in Kroatien. Zusammengestellt aus SDP, der wirtschaftsliberalen Kroatischen Volkspartei [Hrvatska narodna stranka – HNS], der Kroatischen Bauernpartei [Hrvatska seljačka stranka – HSS] sowie der Kroatischen Pensionärspartei [Hrvatska stranka umirovljenika - HSU], errang die «Volkskoalition» landesweit einen Stimmenanteil von 33,5 Prozent.
Die HDZ, die zusammen mit der Kroatischen Sozialliberalen Partei [Hrvatska socijalno-liberalna stranka – HSLS] antrat, kam hingegen auf unerwartete 36,6 Prozent der Stimmen. Weitere, im Parlament vertretene Parteien sind der wirtschaftskonservative Zusammenschluss unabhängiger Wahllisten «Most» [Brücke] mit 9,8 Prozent, die liberale Plattform «Živi zid» [Lebende Wand] mit 6,2 Prozent sowie einige weitere Parteien die, obwohl sie unter der 5 Prozent-Hürde blieben, in den kroatischen Sabor einzogen – etwa der istrische sozialdemokratische Block «Istrischer Demokratischer Bund» mit 2,3 Prozent. Die Wahlbeteiligung war niedrig und lag bei 52,6 Prozent.
Die Verteilung der Abgeordnetenmandate im neuen kroatischen Sabor sieht jetzt wie folgt aus:
HDZ/HSLS: 61 Mandate
SDP/HNS/HSS/HSU: 54 Mandate
Most: 13 Mandate
Živi zid: 8 Mandate
IDS: 3 Mandate
Milan Bandić: 2 Mandate
HDSSB: 1 Mandat
Unabhängige Liste Željko Glasnović: 1 Mandat (als Vertreter der im Ausland lebenden Kroaten, einschl. Der Kroaten aus Bosnien-Herzegowina)
Hinzu kommen VertreterInnen der serbischen, tschechisch-slowakischen, ungarischen, roma/österreichischen/bulgarischen/deutschen/rumänischen, der albanischen/bosnischen/montenegrinischen/slowenischen und der italienischen Minderheit.
Drei Gründe für die Wahlniederlage der «Volkskoalition»
1. Die Ernennung von Andrej Plenković zum Parteivorsitzenden der HDZ und die verfehlte nationalistische Kampagne der SDP. Die HDZ vollzog damit eine, zumindest nach außen erkennbare, Abkehr vom radikalen Nationalismus ihres vorherigen Vorsitzenden Tomislav Karamarko. Plenković gilt in der Öffentlichkeit als moderater Politiker der seine politische Karriere bisher vorwiegend im EU-Parlament vorantrieb und erst relativ spät Mitglied der HDZ wurde. Seine Eltern waren eher linksorientierte Intellektuelle im sozialistischen Jugoslawien und seine Verbindungen zur HDZ-Stammwählerschaft (gläubig, traditionell, nationalistisch und antijugoslawisch) sind eher schwach. Diesen von der SDP ausgemachten «nationalistischen Freiraum» gedachten die SDP-Strategen durch die Übernahme nationalistischer Politikinhalte auszunutzen um die eigene Wählerbasis zu erweitern. Dem diente das Treffen mit den erwähnten Veteranenverbänden ebenso wie das Kokettieren mit dem historischen Faschismus Kroatiens und den zuweilen rassistischen Aussagen zu Serbien und Bosnien-Herzegowina.
2. Der Mangel an wirtschafts- und sozialpolitischen Alternativen der «Volkskoalition». Die «Volkskoalition» hatte kein wirtschafts- und sozialpolitisches Alternativprogramm zur HDZ und ihren politischen Verbündeten. Die Vertretung von ArbeiterInnen-Interessen, Kritik am neoliberalen Paradigma oder an der Austeritätspolitik waren und sind keine Bestandteile des von den kroatischen Sozialdemokraten vertretenen politischen Kurses.
3. Die sukzessiv vorgenommene Abkehr vom internationalistischen/jugoslawischen Erbe der Partisanenbewegung. Diese führte dazu, dass viele WählerInnen, die der SDP (als kleinerem Übel) bisher ihre Stimme gegeben haben, nun keinen Grund mehr sahen, dies auch diesmal zu tun. Davon zeugt nicht nur die allgemein geringe Wahlbeteiligung, sondern vor allem die Stimmenverluste der SDP bei ihrer «Stammklientel». Wie das Online-Nachrichtenportal «BILTEN» anführt, verlor die SDP über 150.000 Stimmen im Vergleich zu den letzten Wahlen im Dezember 2015, gleichzeitig sank die allgemeine Wahlbeteiligung um mehr als 8 Prozent.
Die antifaschistische Linke in Kroatien erkannte im Wahlkampf der «Volkskoalition» keinen einzigen programmatischen Punkt, der ihre Wahl zur Verhinderung der HDZ als «kleineres Übel» erschienen ließ. Die Klientel der HDZ hingegen sah, trotz der Übernahme einer nationalistischen Rhetorik, keine Veranlassung für die SDP und ihre Partner zu stimmen. Im Gegensatz zur Wahlklientel der SDP ist die Klientel der HDZ sehr diszipliniert. Es gibt kaum Fluktuationen in ihrem Wahlverhalten und dies unabhängig davon, wie sich die HDZ politisch im konkreten Moment aufstellt. Dennoch verlor auch die HDZ an Stimmen (laut «BILTEN» ca. 75.000), diese kamen aber nicht der «Volkskoalition» zugute.
Regionales Wahlverhalten
Die Hauptstadt Zagreb, urbanes Zentrum und größter Wahlbezirk, galt bisher als sicheres Pflaster für die SDP und ihre Partner. Auch bei diesen Wahlen errang die SDP die meisten Stimmen, jedoch mit starken Stimmverlusten so dass der Abstand zur HDZ schrumpft.
Die Industrieregion in Nordkroatien ist ebenso eine sichere Bastion der SDP mit einer stabilen Stammwählerschaft. Die hiesige Arbeiterklasse wählt präferentiell links in der Hoffnung, so ihren sozio-ökonomischen Status zumindest zu erhalten. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist ebenfalls sehr hoch. Die wirtschaftliche Situation ist, im Vergleich zu anderen kroatischen Regionen, relativ gut.
Eine weitere Bastion der kroatischen «Linken» ist Istrien mit der Hafen- und Industriestadt Rijeka als Zentrum. Neben der SDP gehört hier die regionale Partei IDS zur stärksten Kraft, während die HDZ in dieser Region traditionell schwach ist. Rijeka und Istrien wählen traditionell links, selbst in der Hochzeit von Franjo Tudjman in den 1990er Jahren konnte die HDZ in dieser Region nie die regionale Regierung, geschweige denn einen Bürgermeister in Rijeka stellen.
Mitteldalmatien hingegen ist eine traditionelle HDZ-Hochburg. Die Wählerschaft ist überwiegend katholisch-konservativ, die ökonomische Situation ist, trotz des Tourismus, verheerend, so dass viele junge und gutausgebildete Leute auswandern. Nicht zu unterschätzen ist in solchen Regionen der Einfluss der katholischen Kirche, die aktiv für die Wahl der HDZ eintritt und auch öffentlich wirbt.
Eine weitere Hochburg der HDZ ist Ostslawonien – gleichzeitig die ärmste Region Kroatiens. Agrarisch strukturiert, vom Krieg arg getroffen und unter massiver Abwanderung junger Menschen leidend, stellt Ostslawonien eine sichere Wählerbasis für die konservative HDZ. Die kroatische Sozialdemokratie hat es in 25 Jahren nicht vermocht, ein sozio-ökonomisches Profil zu erarbeiten, dass der verarmten Bevölkerung Ostslawoniens als Alternative zur identitären Programmatik der HDZ dienen könnte.
Wo bleibt die Linke in Kroatien?
In Kroatien gibt es derzeit keine linken Kräfte, die auf der politischen Bühne von Relevanz wären. Die SDP, bisher als «kleineres Übel» selbst von linken Wählenden angesehen, hat mit dieser Wahl ihren Status als Alternative zur wirtschaftsliberalen und nationalistischen HDZ eingebüßt, indem sie versuchte, diese zu kopieren. Gleichzeitig hat sie es nie geschafft, wirtschafts- und sozialpolitische Alternativen auszuarbeiten, die für die verarmte Bevölkerung etwa in Ostslawonien und Dalmatien reale Möglichkeiten einer Verbesserung ihres Status quo bieten könnten. In Ermangelung an tatsächlichen sozio-ökonomischen Alternativen haben sich die WählerInnen Kroatiens demgegenüber identitären Politiken zugewendet, die ihnen zumindest das Gefühl vermitteln, ernst genommen und gehört zu werden. Die SDP hat als linke Alternative zur HDZ nicht erst bei diesen Wahlen versagt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sie in den reicheren Regionen (Nordkroatien, Istrien und Zagreb) relativ gut abschneidet, während sie in den ärmeren Regionen der identitären und nationalistischen Politik der HDZ hinterherläuft.
Links von der SDP gibt es zurzeit nahezu keine politische Organsation, die diese Lücke schließen könnte. Als Partei existiert zwar seit knapp über zwei jahren die «Arbeiterfront» (Radnička fronta), doch hat sie an diesen Wahlen nicht teilgenommen. Die Gründe hierfür liegen in der problematischen internen Struktur und einem daraus resultierendem Mangel an Kadern. Sie ist darüberhinaus kaum mit den sozialen Basisbewegungen verbunden, die es in Kroatien durchaus gibt.
Die radikale Linke in Kroatien ist zwar existent und relativ gut aufgestellt, doch parteipolitisch nicht organisiert und in verschiedene kleinere Organisationen zerstreut. Sie ist sowohl was die aktivistische Basisarbeit betrifft (gewerkschaftliche Bildungsarbeit, Bewegungen gegen die Privatisierung von öffentlichen Gütern, das Recht auf Stadt etc.) als auch theoretische Eingriffe in den hegemonialen neoliberalen Diskurs sehr aktiv. Was bisher aber fehlt, ist eine breitere, womöglich parteipolitische Form der Organisierung dieser Akteure.
Krunoslav Stojaković ist ab 01.03.2017 neuer Büroleiter im RLS Regionalbüro Belgrad und derzeit in Einarbeitung auf diese Tätigkeit im Europa Referat der Stiftung in Berlin.