12.01.2017.
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Speakers Tour Süd- und Westdeutschland
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VON WEGEN SICHER
Das Konzept der sicheren Herkunftsländer in der Kritik
Vom 14. bis 26. November 2016 war Tamara Baković-Jadžić in sieben Städten in Süd- und Westdeutschland, um die Broschüre «Von wegen sicher. Das Konzept der sicheren Herkunftsländer in der Kritik» vorzustellen. Sie ist Aktivistin im Roma Forum Serbien, einer Organisation, die die Vernetzung, Bildung und Organisierung der Rom_nja Community innerhalb Serbiens zum Ziel hat. Das Roma Forum Serbien ist Teil des Levi Samit Srbije, einem Bündnis linker Organisationen in Serbien, dem verschiedene aktivistische Gruppen, Medienprojekte, NGOs, aber auch Gewerkschafter_innen angehören, die in autonomen Arbeitskämpfen aktiv sind.
Die Broschüre, die vom Belgrader Büro der Rosa Luxemburg Stiftung herausgegeben wurde, kritisiert die Verschärfungen der Migrationspolitik in Deutschland, die im Schatten des «Sommers der Migration» eingeführt wurden. Bundestag und Bundesrat erklärten 2014 und 2015 die Länder des Balkans zu «sicheren Herkunftsstaaten». Asylanträge aus diesen Ländern werden in der Folge als «offensichtlich unbegründet» abgelehnt, obwohl die Mehrheit der Antragsteller_innen Rom_nja sind, die von Diskriminierung, Marginalisierung und sozialer Exklusion betroffen sind. Sie werden dadurch im Asylverfahren als „Wirtschaftsflüchtlinge“ abgestempelt, in speziellen Lagern untergebracht, mit verschärfter Residenzpflicht und Beschäftigungsverbot. Ihre Asylanträge werden zu fast 100 Prozent abgelehnt. Die Zahl der Abschiebungen ist rasant angestiegen. Gleichzeitig hat diese Regelung dramatische Folgen für mehrere Tausend Rom_nja, die infolge der Jugoslawienkriege und des Kosovokonflikts in den 1990er Jahren nach Deutschland geflohen sind, seitdem als «Geduldete» in Deutschland leben und nun von Abschiebung bedroht sind.
Tamara Baković-Jadžić stellte im Rahmen der Speakers Tour in München, Nürnberg, Tübingen, Mannheim, Köln und Bochum mit Serbien und Kosovo zwei exemplarische Fälle sogenannter «sicherer Herkunftsländer» vor. So sind Rom_nja Angriffen ausgesetzt und werden in der Öffentlichkeit und durch Behörden diskriminiert. Darüber hinaus sind sie auch von einer massiven Marginalisierung in allen Lebensbereichen betroffen. Von geschätzt 500.000 in Serbien lebenden Rom_nja sind fast 99% nicht regulär beschäftigt. Etwa 120.000 leben in «informellen Siedlungen», wo es keinen Zugang zu angemessener Infrastruktur wie Strom, Wasser oder Abwasser gibt. Weniger als 1% haben einen Hochschulabschluss. Beide Phänomene, Diskriminierung und sozioökonomische Marginalisierung und Armut, bedingen und verstärken sich gegenseitig.
Obwohl das internationale und EU-Recht die strukturelle bzw. kumulative Verfolgung von Roma anerkennen, hat die deutsche Regierung mit der Erklärung der Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsstaaten ihre restriktive Asylpolitik gegenüber Rom_nja zementiert. Gleichzeitig waren die Balkanstaaten nur der Anfang. Die Liste der angeblich sicheren Länder wird immer länger. So sollen auch die Maghreb-Staaten als sicher erklärt werden und sogar Teile Afghanistans werden vom deutschen Innenministerium als sicher eingestuft. Darüber hinaus sprach sich Tamara Baković-Jadžić dafür aus, die Asylgesetze nicht isoliert zu kritisieren, sondern diese als Folge der sozial ungerechten Wirtschafts-, Beitritts- und Sparpolitik der EU zu betrachten, von der die Länder der europäischen Peripherie besonders betroffen sind.
Neben Tamara Baković-Jadžić waren in den jeweiligen Städten der Tour Flüchtlingsaktivist_innen und Roma-Selbstorganisationen als Referent_innen und Kooperationspartner in die Veranstaltungen eingebunden. Die Veranstaltungen fanden bspw. mit Beteiligung des bayerischen Flüchtlingsrats, des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, des Landesverband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg e.V. und des ROM e.V. Köln statt. Auf diese Weise konnten auch intensiv die Folgen der Asylrechtsverschärfungen für in Deutschland lebende Rom_nja thematisiert werden, ebenso wie Handlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten – bspw. im Rahmen der Kampagne «alle bleiben!», wie auch in breiteren Kämpfen um das Recht auf Mobilität und gegen eine Festung Europa.