Vom Kollaborateur zum antifaschistischen Widerstandskämpfer
Autor: Krunoslav Stojaković
Nur wenige Tage nachdem der serbische Staatspräsident Tomislav Nikolić in Moskau dem „Tag des Sieges“ über den Faschismus beiwohnte, rehabilitierte am 14. Mai das Hohe Gericht in Belgrad mit Dragoljub „Draža“ Mihailović einen der größten Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs indem es ein Urteil des jugoslawischen Volksgerichtshofs vom 15. Juli 1946 aufhob und für nichtig erklärte. Der Chefberater des Präsidenten und einer der Hauptinitiatoren dieser juristischen Farce, Oliver Antić, diktierte nach Urteilsverkündung den verblüfften Journalisten in die noch leeren Notizblöcke, dass dies ein großer Tag für Recht und Gerechtigkeit sei und dass der Richterspruch auch in Kroatien gefeiert werden sollte. Bedenkt man den Umstand, dass Mihailovićs königstreue Četnik-Bewegung neben dem Terror gegen die einheimische serbische Zivilbevölkerung, die sie der Zusammenarbeit mit den kommunistischen Partisanen für schuldig befand, in ihren programmatischen Dokumenten ausdrücklich von der Idee eines „homogenen Serbiens“ getragen worden ist und zu diesem Zweck Bevölkerungsumsiedlungen plante und Massenmorde gegen Muslime und Kroaten durchführte, erscheint eine solche Aussage zumindest erstaunlich. Anfang 1943 etwa haben Četnik-Einheiten im südwestserbischen Sandžak und Ostbosnien in wenigen Tagen über 8000 Muslime ermordet – mit Wissen und militärischer Gutheißung durch General Mihailović. Doch eine solche Aussage passt ins Bild der grassierenden Geschichtsklitterung. Für den Präsidentenberater Antić stellt sie ein wichtiges Teilchen im großen ideologischen Geschichtspuzzle von den zwei antifaschistischen Bewegungen in Serbien dar. In diesem narrativen Konstrukt vermengt sich die Anwesenheit des Staatspräsidenten Nikolić in Moskau zu Ehren der im Kampf gegen den deutschen Faschismus gefallenen Rotarmisten mit der einheimischen Freude seines Beraters über die Rehabilitierung des Hauptkommandanten eben jener Einheiten, die sich mit dem deutschen Faschismus in Jugoslawien gemein machten und gegen Rotarmisten und jugoslawische Partisanen kämpften.
Diese Episode, so absurd und kontradiktorisch sie auch anmutet, hat indes eine klare Motivation. Hinter ihr verbirgt sich der Wille der serbischen Elite mit dem Erbe des dominant kommunistisch inspirierten Antifaschismus zu brechen, die Legalität des sozialistischen Jugoslawien schrittweise zu unterhöhlen um ein nationales Narrativ für das fragile Gerüst des gegenwärtigen Serbien aufzubauen. Nach außen hin schauspielert die Staatsspitze ihre Verbundenheit mit den politischen Werten des Antifaschismus, nach innen werden Kollaborateure des Nazi-Regimes zu Antifaschisten aufpoliert. Indes, die gegenwärtige serbische Regierung, zusammengesetzt aus ehemaligen Mitstreitern des rechtsextremen Politclowns Vojislav Šešelj (Staatspräsident Tomislav Nikolić und Premierminister Alexandar Vučić) und VertreterInnen der ehemaligen Milošević-Partei SPS (Sozialistische Partei Serbiens), ist keineswegs der alleinige Initiator dieser eklatanten Geschichtsrevision. Sie ist lediglich das letztendliche Ausführungsorgan eines schon durch Slobodan Milošević in den 1990-ern eingeleiteten Prozesses, der insbesondere in den 2000-er Jahren, also zur Regierungszeit der Demokratischen Partei unter Zoran Đinđić und später Boris Tadić, an Dynamik gewann. Die Diskreditierung des kommunistischen Widerstands und des sozialistischen Jugoslawien ging einher mit der Rehabilitierung antikommunistischer Kollaborateure und der forcierten Privatisierung ehemals gesellschaftlichen Eigentums. Für die serbische Elite, unabhängig ob sie zum konservativen oder liberalen Lager gehört, war die Dämonisierung des Kommunismus ein unabdingbarer Bestandteil im Prozess der kapitalistischen Restrukturierung des Landes – und die europäischen Zentren zusammen mit Russland haben diesen Prozess tatkräftig unterstützt. Zu glauben, die Europäische Union oder Russland würden sich weiterhin unzweideutig in den Fußstapfen der internationalen antifaschistischen Koalition wähnen, wäre ein großer Irrtum. Davon zeugen nicht nur die Nichtanwesenheit maßgeblicher europäischer Regierungschefs in Moskau am 9. Mai diesen Jahres oder die höchst problematische „Prager Erklärung“, davon zeugt auch die politische Unterstützung, die solche Regimes durch die Europäische Union oder aber auch Russland erhalten.
Der neue Politstar des Westens, die ehemalige stellvertretende NATO-Generalsekräterin und heutige kroatische Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarović hat übrigens die Rehabilitierung von Dragoljub „Draža“ Mihailović auf schärfste verurteilt – kurz nachdem sie am 14. Mai von einer Kranzniederlegung am Denkmal für die gefallenen Mitglieder der faschistischen Ustascha-Einheiten im österreichischen Bleiburg heimgekehrt war.