Auslassungen und Kontinutitäten
Als Teil des Programms der Initiative Poseta Starom sajmištu, das sich in erster Linie mit Problematiken der serbischen und jugoslawischen Geschichtspolitik und Erinnerungskultur beschäftigt, untersuchte die Veranstaltung dieses Mal deutsche und österreichische Erinnerungspolitiken im Bezug auf die Verbrechen der Nationalsozialisten und beleuchtete sie im Hinblick auf Kontinuitäten, Tabus und blinde Flecken.
Autorin: Rena Rädle
Den Auftakt zur zweitägigen Veranstaltung im Kulturzentrum Rex am 5. und 6. Oktober 2012 bildete die Vorführung des Films „Das Falsche Wort“ (1987) von Katrin Seybold und Melanie Spitta, der mit bis dato unveröffentlichten Dokumenten die Vorenthaltung von Entschädigungszahlen für die als „Zigeuner“ verfolgten Roma und Sinti in Deutschland öffentlich machte. Der strukturell verankerte Antiziganismus stellt als ideologische Konstruktion eine der Kontinuitäten nach 1945 dar und hat die Anerkennung des Völkermords and den Roma und Sinti lange herausgezögert.
Am Folgetag standen im Vortrag von Kathrin Herold die erinnerungspolitischen Kämpfe von Roma und Sinti an KZ-Gedenkstätten in Deutschland im Mittelpunkt. Es wurde deutlich, dass bis zum heutigen Tag der Antiziganismus der europäischen Gesellschaften das Ende der Vertreibungen und Diskriminierungen der Überlebenden Roma und Sinti und ihrer Nachkommen verhindert.
Walter Manoschek beleuchtete in seinem Vortrag Auslassungen, Tabus und Widersprüche in der Erinnerungspolitik Österreichs, dessen Geschichtsbild vom deutschen unterschiedlicher nicht sein könnte. Während vom deutschen Staat die Verantwortung für die Verbrechen der Nazis schwerlich abgelehnt werden konnte, sah sich Österreich als erstes Opfer Hitlerdeutschlands. Erst die Waldheimdebatte, die Wehrmachtsausstellung als erste Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht und die Bürgerrechtsbewegungen von unten haben den Opfermythos und die Erzählungen von der „sauberen Wehrmacht“, der Entnazifizierung, der Entschädigung der Opfer und der Bestrafung der Täter ins Wanken gebracht.
Kathrin Herold hat in Bremen und Madrid Kulturwissenschaften, Soziologie und Romanistik studiert und ist freiberuflich in der politisch-historischen Bildung und als wissenschaftliche Autorin tätig.
Sie arbeitet an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hamburg) sowie am Denkort Bunker Valentin und ist Teil des Netzwerks „alle bleiben“ http://www.alle-bleiben.info, ein Zusammenschluss von Gruppen die gegen Abschiebungen von Roma ins ehemalige Jugoslawien kämpfen. Sie bietet Workshops zum Thema Antiziganismus an um eine Auseinandersetzung mit historischen und aktuellen Formen von Ausgrenzung und Rassismus gegen Roma anzuregen.
Einschlägige Veröffentlichungen:
End, Herold, Robel (Hg): Antiziganistische Zustände. Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments. Münster, 2009.; Zusammen mit Yvonne Robel: Zwischen Boxring und Stolperstein – Johann Trollmann in der gegenwärtigen Erinnerung. In: Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 13, Bremen, Edition Temmen, 2012; Roma as Victims of Genocide. Politics of Remembrance in (West) Germany since 1945. In: The Holocaust in History and Memory, vol. 3/ 2010, S. 61-77, übersetzt ins serbische unter dem Titel: Romi kao žrtve genocida: Politika secanja u (Zapadnoj) Nemackoj od 1945 www.csi-platforma.org
Walter Manoschek ist ao. Univ. Prof. für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Filmemacher. Forschungsschwerpunkte: Nationalsozialismus, Holocaust, Vergangenheitspolitik. Er war Mitgestalter der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ die zwischen 1995 und 1999 in mehr als 30 deutschen und österreichischen Städten gezeigt wurde.
Einschlägige Veröffentlichungen:
„Serbien ist judenfrei!“ Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42, München 1995; Gescheiterte Flucht. Der jüdische „Kladovo-Transport“ auf dem Weg nach Palästina, (gem. mit Gabriele Anderl), Wien 2001; Der Fall Rechnitz. Das Massaker an Juden im März 1945, Wien 2009. Sein Dokumentarfilm Dann bin ich ja ein Mörder wird im Herbst 2012 bei der Viennale uraufgeführt. http://waltermanoschek.wordpress.com