CHANCEN FÜR EINE NEUE KRITISCHE JUGENDBEWEGUNG
Fakultätsbesetzungen, Demonstrationen und Vollversammlungen. Studentinnen und Studenten protestieren gegen schlechte Studienbedingungen und eine neoliberale Reform des Hochschulwesens. Viele Universitäten in Europa befinden sich im Aufruhr. Das gilt auch für die Hochschulen in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens. Der Protest der Studierenden dreht sich auch in Belgrad und Zagreb in erster Linie um die Probleme der Universität. Aber zwei weitere Dimensionen sind wichtig: Zum ersten Mal seit dem Ende der nationalistischen Kriege der Neunziger Jahre artikulieren sich in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens Ansätze einer neuen gesellschaftskritischen Jugendbewegung, welche soziale Fragen in den Vordergrund stellt und politisch nach links tendiert. Und: Im Protest an den Universitäten beginnen sich die Jugendlichen in Kroatien, Serbien und Mazedonien und Bosnien-Herzegowina über die neuen Grenzen hinweg wieder positiv aufeinander zu beziehen.
Am Gebäude der Fakultät für Naturwissenschaften und Mathematik in Belgrad steht seit Monaten eine Parole, die noch vor kurzem schnell überpinselt worden wäre: "Solidarität mit den Studenten in Kroatien!". Die im Mainstream der post-jugoslawischen Gesellschaften noch immer vorherrschende nationalistische Abgrenzung wird von den protestierenden Studenten durchbrochen. Sicher sollte dieses neue Phänomen nicht allzu optimistisch stimmen. In den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens herrschen auch unter der ersten Nachkriegsgeneration
vielerorts noch nationalistische und sogar rechtsextreme Einstellungen vor. Dennoch zeigen die derzeit in den verschiedenen Nachfolgestaaten parallel stattfindenden Studentenproteste ganz deutlich eine Dynamik, die auch andere Teile der Gesellschaft erfassen könnte. Die Erkenntnis gemeinsamer Probleme und Interessen macht über Grenzen hinweg Kommunikation und sozialen Protest möglich.