Und wo ist die Politik geblieben?
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Zwar haben die Belgrader Wahlen nicht zu einem Machtwechsel geführt, doch haben sie dennoch das politische Terrain im Post-Milosevic-Serbien bedeutend verändert. Die alten Kräfte der demokratischen Opposition (DOS) sind verschwunden und haben den Raum für neue Kräfte geöffnet. Die grassroots Linke konnte zum ersten Mal «für jemanden abstimmen», während der verbliebene, erfolgreichere Teil der demokratischen Opposition um den ehemaligen Belgrader Oberbürgermeister Dragan Đilas seinen Wahlkampf nicht sehr überzeugend um soziale Themen herum konzentrierte.
Autorin: Ana Veselinović | Programm-Managerin im Belgrader Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Über dem Zensus
Auf den turnusmäßig abgehaltenen Lokalwahlen in Belgrad am 4. März haben 24 Wahllisten kandidiert, nur vier jedoch sind über die 5%-Hürde gekommen. Klarer Wahlsieger mit 46,2% der abgegebenen Stimmen war die Liste Zato što volimo Beograd – Aleksandar Vučić («Weil wir Belgrad lieben – Aleksandar Vučić») von der herrschenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS). Mit diesem Resultat errang die SNS 63 von insgesamt 110 Mandaten, d.h. die absolute Mehrheit im Stadtparlament das nach seiner Konstituierung den Bürgermeister wählen wird. Einer Prognose von Aleksandar Vučić zufolge wird der Name des neuen Oberbürgermeisters in den kommenden 50 Tagen bekannt gegeben, unter den Kandidaten befinden sich hohe Stadtfunktionäre – der amtierende Bürgermeister Siniša Mali, der Stadtmanager Goran Vesić und Irena Vujović, Bürgermeisterin des Stadtteils Savski venac.
Mit deutlich schwächeren 18% und 26 Mandaten belegte eine aus vormaligen führenden Mitgliedern der ehemals regierenden Demokratischen Partei (DS) zusammengestellte Koalition unter Führung von Dragan Đilas den zweiten Platz. Unter dem Wahlkampfslogan Beograd odlučuje, ljudi pobeđuju («Belgrad entscheidet, Menschen gewinnen») fanden sich mit Saša Janković (Pokret slobodnih građana – Bewegung freier Bürger) und Vuk Jeremić (Narodna stranka - Volkspartei) auch zwei ehemalige Präsidentschaftskandidaten auf dieser Liste, ebenso der Vorsitzende von Levica Srbije (Serbische Linke), Borko Stefanović.
Ein relativ gutes Ergebnis fuhr mit 8,2% eine vom parteilosen Neu-Belgrader Bürgermeister Aleksandar Šapić angeführte Bürgerbewegung ein. Nach einem sehr uninspiriert geführten Wahlkampf belegte die Koalition Socijalistička partija Srbije/Jedinstvena Srbija (Sozialistische Partei Serbiens/Einiges Serbien) mit 6,3% und 8 Mandaten den vierten Platz. Neben Belgrad fanden in drei weiteren Städten Lokalwahlen statt – Aranđelovac, Bor, Sevojno) – und auch in diesen Städten errang die konservative SNS die absolute Mehrheit, teilweise mit über 60% der abgegebenen Stimmen.
Unter dem Zensus
Diese Wahlen charakterisiert vor allem der totale Niedergang der DS, der ältesten liberal-demokratischen Partei Serbiens (gegründet 1919). Der Beginn ihres Niedergangs wurde jedoch schon 2012 eingeleitet als führende Parteimitglieder sich gegenseitig für schlechte Wahlresultate verantwortlich machten und selbstbewusst neue politische Parteien gründeten. Keines dieser neuentstandenen politischen Projekte war von politischem Erfolg gekrönt, während das Endresultat der Atomisierung der DS nun bei den am Sonntag abgehaltenen Wahlen in Belgrad folgte – lediglich 2,25% der abgegebenen Stimmen fielen auf die DS, die somit den sechsten Platz belegte und die 5%-Hürde verpasste. Um die ganze Sache noch eindringlicher zu gestalten, trat die DS mit dem Slogan Da oslobodimo Beograd («Damit wir Belgrad befreien») und in Koalition mit der Socijaldemokratska stranka (Sozialdemokratische Partei – SDS) des ehemaligen Staatspräsidenten Boris Tadić, der Nova stranka (Neue Partei) des ehemaligen Premierministers Zoran Živković und den Grünen an. Dragan Šutanovac, der Vorsitzende der DS, erklärte nach dem Wahldebakel seinen Rücktritt und beschwor die Opposition, bei den nächsten Wahlen gemeinsam aufzutreten um die SNS abzuwählen. Boris Tadić rief alle «pro-europäischen» Kräfte dazu auf, bei den nächsten Wahlen vereinigt aufzutreten. Ebenfalls nicht im Stadtparlament vertreten ist zum ersten Mal seit 18 Jahren die Demokratska stranka Srbije (Demokratische Partei Serbiens – DSS), einst Gralshüterin des «Serbiens vom 5. Oktober» [am 5. Oktober 2000 wurde Slobodan Milošević gestürzt]. Die DSS errang bei diesen Wahlen insgesamt 1,12% der Stimmen, immerhin fünf Mal mehr Stimmen als die einst einflussreiche «pro-europäische» Liberalna demokratska partija (Liberal-Demokratische Partei - LDP) von Čedomir Jovanović erringen konnte.
Mit 2,33% der abgegebenen Stimmen schnitt der ehemalige Anti-Establishment-Präsidentschaftskandidat Ljubiša Preletačević Beli knapp vor der DS-Koalition ab. Die Srpska radikalna stranka (Serbische Radikale Partei - SRS) des in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagten Vojislav Šešelj hat mit einem Ergebnis von unter 3% noch einmal ihre politische Irrelevanz unterstrichen. In den Wahlkampfdebatten hatte Šešelj jedwede Koalition zur Abwahl der SNS abgelehnt und angekündigt, lediglich auf institutionellem Weg gegen die SNS zu agieren. Für eine Partei, die in ihrem Wahlprogramm die Verteidigung des Kyrillischen betonte und jenen Firmen, die ihre Werbung in dieser Schrift platzieren Steuererleichterungen versprochen hatte, sind auch 19000 Stimmen viel zu viel.
Es folgt die bizarre «Zensus-Koalition» bestehend aus dem libertären Dosta je bilo («Es ist genug» - DJB) und der rechtsradikalen Bewegung Dveri (veraltet für Tür, gemeint ist die Himmelspforte. Anm. des Übersetzers), die mit 3,8% ebenfalls ein Wahldebakel erlebten. Die oberflächlich betrachtet unüberbrückbaren ideologischen Unterschiede mal beiseitegelegt rechneten DJB und Dveri damit, allein durch die mathematische Addition des Ergebnisses der vorangegangenen Präsidentschaftswahlen einen Platz im Belgrader Stadtparlament erringen zu können. Im Ergebnis führte diese Niederlage zum Rücktritt des Vorsitzenden von DJB, Saša Radulović, dem einstigen Wirtschaftsminister der SNS-Regierung, der 2014 mit der Änderung der Arbeitsgesetzgebung den letzten Akt in der Deregulierung des serbischen Arbeitsmarktes eingeleitet hatte.
Für frischen Wind in der lokalen politischen Szene sorgte die Inicijativa Ne da(vi)mo Beograd («Wir lassen Belgrad nicht untergehen/Wir geben Belgrad nicht her» - NDMBG). Entstanden ist diese Initiative aus den Massenprotesten 2016 gegen das Paradeprojekt der urbanistischen Politik der SNS – Belgrade Waterfront. NDMBG errang 3,5% der Stimmen was, aus Sicht der Mainstream-Politik, einen unerwarteten Erfolg für einen neuen politischen Akteur bedeutete. Unterstützt wurde diese Liste von allen relevanten linken Akteuren, was einen ersten Schritt zur Überwindung der ansonsten notorischen Fragmentierungs- und Atomisierungstendenzen auf der Linken bedeuten könnte. Trotz geringer finanzieller Mittel und einer wenig entwickelten Organisationsstruktur hat NDMBG in drei Stadtbezirken die 5%-Hürde genommen.
Die Wahlbeteiligung bewegte sich im Durchschnitt. In Belgrad haben 51,09% bzw. 814.477 Wähler von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht.
Ablauf und Wahlatmosphäre
Über den Ablauf und die Atmosphäre der Belgrader Wahlen haben die Medien umfangreich berichtet. Die Mehrzahl der Medien hat die Einschätzung der Städtischen Wahlkommission (GIK) übernommen, wonach die Wahlen friedlich und ohne größere Unregelmäßigkeiten abgehalten worden sind. Die unabhängige Wahlbeobachtungsmission CRTA hingegen hat berichtet, dass die Qualität des Wahlprozesses deutlich unter den internationalen Standards freier und fairer Wahlen war. Ihren Untersuchungen zufolge kam es in 8% der Wahlbezirke zu bedeutenden Unregelmäßigkeiten, was einen Anstieg der Unregelmäßigkeiten im Vergleich zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2016 und 2017 darstellte. Zu den Unregelmäßigkeiten gehörten das Abfotografieren der Wahlzettel, organisierte kollektive Fahrten zu den Wahlbüros, doppelte Wahllisten sowie das Herein- und Heraustragen von Wahlzetteln. Festgehalten wurden auch Handgreiflichkeiten zwischen Wahlbeobachtern der SNS- und den Oppositionsparteien sowie Intoleranz gegenüber unabhängigen Beobachtern der Wahlen. Die Anwesenheit des US-amerikanischen Botschafters in einem Wahlbezirk hat den serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vučić besonders irritiert und zur Ankündigung bewogen, bei den nächsten Wahlen in den USA eine eigene Wahlbeobachterkommission entsenden zu wollen. Diese Trotzreaktion ist besonders interessant vor dem Hintergrund, dass die GIK während des ersten Wahlkampfmonats den unabhängigen einheimischen Wahlbeobachtermissionen CESID und CRTA die Anwesenheit auf ihren Sitzungen untersagt hatte.
Kritische Medien haben darüber hinaus über fragwürdige Wählerverzeichnisse berichtet. Vergleicht man nämlich die Zahl der wahlberechtigten Bürger mit der Einwohnerzahl Belgrads so lässt sich ein Überschuss von 300.000 Menschen feststellen – überwiegend längst verstorbene oder ausgewanderte Personen. Wie aufgebläht das Wählerverzeichnis ist lässt sich auch an dem Umstand ablesen, dass der Präsident der Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina, Milorad Dodik, allein aufgrund des Besitzes einer Immobilie in Belgrad wählen konnte. Allerdings muss auch erwähnt werden, dass dieses Problem schon seit den 1990er Jahren existiert und keine Regierungspartei sich jemals mit seiner Lösung beschäftigt hat.
Von diesen Unregelmäßigkeiten abgesehen muss der Blick jedoch vor allem auf die Machtverhältnisse im Mediensektor gerichtet werden. Einer Medienanalyse von CRTA zufolge, die die meistgesehenen Informationsprogramme privater und öffentlicher Fernsehsender sowie die auflagenstärksten Printmedien untersucht haben, war die herrschende SNS vier Mal häufiger in den Medien vertreten als die gesamte Opposition. CRTA führt ferner an das während des Wahlkampfes Funktionäre der Regierung in mehr als 50% ihrer Fernsehauftritte «in jedem vierten Wahlversprechen abgegeben, und bei jedem sechsten Auftritt Gegenkandidaten angegriffen haben.» Die Organisation Transparantnost Srbija (Transparentes Serbien) bezeichnet solch eine Kampagne, in der öffentliche Funktionen und Ressourcen für politische Zwecke entfremdet werden, als Funktionärskampagne. Einzelpersonen ebenso wie politische Organisationen haben während des Wahlkampfes mehr als 300 Anzeigen gegen elektronische Medien aufgrund von medialer Diskriminierung, Falschmeldungen oder nicht-objektiver Berichterstattung eingereicht, das zuständige Regulationsorgan für elektronische Medien (REM) hat sich zu diesen Anzeigen jedoch nicht geäußert. Daran lässt sich der Grad an Kontrolle erahnen, den das Regime von Vučić vor allem auf die öffentlichen, aber auch auf die privaten Medienanstalten ausübt. Die Opposition hat als Reaktion darauf vor allem soziale Medien als Kommunikationskanal genutzt. Diese Form der Kampagne wird von Analysten als «Twitter-Kampagne» bezeichnet, sie hat einen eingeschränkten Wirkungskreis und erreicht bestenfalls gebildete Bevölkerungsschichten – jene die ohnehin für einen Machtwechsel gestimmt haben. Sieht man sich die Bildungsstruktur der SNS-Wähler nämlich genauer an, so sieht man dass über 80% lediglich über eine abgeschlossene Grundausbildung, und 58,1% über einen Lehrberuf verfügen. Nur 15% der SNS-Wähler hat einen Universitätsabschluss.
Die Koalitionsliste von Dragan Đilas errang in zwei zentralen Belgrader Wahlbezirken (Stari grad und Vračar) die meisten Stimmen, während die SNS-Liste in den ärmeren Stadtbezirken triumphierte, dort war auch die Wahlbeteiligung überdurchschnittlich hoch. In Lazarevac etwa gingen über 60% der Wahlberechtigten an die Urnen, jeder zweite wählte dabei die SNS. Lazarevac ist gleichzeitig auch einer von drei Bezirken, der den Wahlbeobachtern keine aktualisierten Wählerlisten hat zukommen lassen.
Neben eines umfangreichen Organisationsnetzwerkes und einer aktiven und disziplinierten Mitgliederbasis, hat die SNS vor Ort eine Form der Sozialhilfe angeboten, kostenlose Hamburger verteilt und Arzttermine für SNS-Mitglieder vergeben. Schätzungen aus dem Jahr 2016 zufolge hatte die SNS über 600.000 Mitglieder, zieht man aber das konstante Wachstum hinzu so gehen Schätzungen heutzutage von knapp 750.000 Mitgliedern aus. Auf der Webpräsenz der SNS sucht man diese Angabe vergebens, was nicht fehlt ist jedoch unter der Rubrik «Über uns» ein besonderes Kapitel über die Persönlichkeit von Aleksandar Vučić.
Das eklatanteste Beispiel für Stimmenkauf ist jedoch die Affäre mit dem Centar za socijalni rad (Zentrum für soziale Arbeit, CSR). Wie die Tageszeitung Danas berichtet hat, den Angaben einer anonymen Angestellten des CSR zufolge das Arbeitsministerium einige Tage vor den Wahlen über 208 Millionen Dinar (1,76 Millionen Euro) auf das Konto des CSR eingezahlt – als einmalige Unterstützung für die beim Zentrum angemeldeten Bedürftigen. Dieses Geld landete jedoch schon am Folgetag auf den Konten von 13.900 Personen, vollkommen ohne irgendwelche Angaben über die angewandten Kriterien oder jenseits der vorgeschriebenen Prozeduren. Den Aussagen der CSR-Beschäftigten wurde das Geld an SNS-Anhänger ausgezahlt. Indikativ ist ferner das von 200 Personen aus Lazarevac, an welche Geld ausbezahlt worden ist, nur eine einzige Person beim CSR als sozialhilfebedürftig angemeldet ist.
Hauptthemen des Wahlkampfes
Im Meer gegenseitiger Beleidigungen und Kriminalitätsvorwürfen war es schwer, überhaupt ein politisches Thema auf der Tagesordnung ausfindig zu machen. Die Opposition hat sich mehr oder weniger auf die Skandalisierung der Herrschaftspraktiken von Aleksandar Vučić konzentriert –Einschüchterungen, Erpressung von im öffentlichen Sektor Beschäftigten, Usurpation der Medien und Kontrolle öffentlicher Einrichtungen. Einige Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisationen haben zudem den aggressiv geführten «Tür zu Tür»-Wahlkampf der SNS skandalisiert indem sie das Recht auf Privatheit hervorgehoben haben.
Soziale und lokale Themen waren in diesem Wahlkampf nur von zweitrangiger Bedeutung. Und wenn sie mal angesprochen wurden, dann unglaubwürdig in Form von Wahlversprechen, dass nach einem Regierungswechsel alles kostenlos zur Verfügung gestellt werden würde.
Die SPS etwa hat diese Fragen in einem Zweierschritt gelöst – der Parteivorsitzende Ivica Dačić hat von seiner Bühne im Wahlkampf die versammelten Parteianhänger daran erinnert, dass zu Titos Zeiten und im Sozialismus am meisten gebaut worden sei, und da die SPS die einzige sozialistische Partei in Serbien sei die Schlussfolgerung doch ebenfalls klar, man müsse nur eins und eins zusammenzählen.
Die Koalition um Dragan Đilas hatte ein 15-Punkte-Programm, dessen Fokus auf Sozialleistungen und den materiellen Standard der im öffentlichen Sektor Beschäftigten abzielte. Sein Plan sah eine Lohnerhöhung von 15% für Bedienstete im Bildungs- und Gesundheitswesen als auch bei der Polizei vor, den Ausbau neuer Grundschulen und Kindergärten, den kostenlosen vierten Versuch bei künstlicher Befruchtung, und zu guter Letzt die Zurücknahme der Privatisierung des Landwirtschaftsgiganten PKB und seine Überführung in die Hände der dort Beschäftigten.
Ein besonderer Fokus während des Wahlkampfes wurde auf den Bau der Belgrader Metro gerichtet – ein seit den 1960er Jahren geplantes Projekt. Der öffentliche Nahverkehr ist seit Jahren ein neuralgischer Punkt der Stadt Belgrad. Das Thema der Metro wird dementsprechend bei jeder Wahl herangezogen und bildet somit Leitmotiv eines jeden Belgrader Wahlkampfes in dem sich die Parteien als jeweils kompetenteste Projektplaner darstellen. Oppositionsführer Dragan Đilas sprach sich für eine Metrotrasse durch die meistbesiedelten Belgrader Stadtteile aus – ein Plan der schon zu Zeiten des sozialistischen Jugoslawien bestand -, stellte die SNS ihren neuen Plan vor der vorsieht, dass die Metro zwei auf gegenüberliegenden Stadtteilen befindliche Brachfelder, auf denen in Zukunft Luxuswohnviertel entstehen sollen, verbinden soll. Während die Opposition sich darin einig war, dass die Metro den Stadtverkehr entlasten soll, insistierte die SNS, ganz ohne Skrupel, darauf das die Metro vor allem zu einer Verteuerung städtischen Baulandes beitragen sollte.
Lediglich die Initiative NDMBG problematisierte dieses Projekt aus ökologischen und kommunalpolitischen Gesichtspunkten indem sie auf die damit verbundenen Gefahren für eines der größten Trinkwasserreservoirs der Stadt hinwies.
Linke Akteure
Die Initiative Ne da(vi)mo Beograd – Gelbe Ente (NDMBG), einziger linker Akteur der sich bei diesen Wahlen profilieren konnte, ist eine Bewegung die sich in Anlehnung an Barcelona en Comu und Ahora Madrid formierte, und dementsprechend inhaltlich vor allem Themen der Inklusion und demokratischer Bürgerpartizipation bei kommunalpolitischen Fragen abdeckte. Öffentlich wahrgenommen wurde diese Initiative insbesondere durch ihren Protest gegen das urbanistische Megaprojekt Belgrade Waterfront. Seinen Höhepunkt errang dieser Widerstand im Frühjahr 2016 als 15000 Menschen gegen die illegale Zerstörung von bestehenden Gebäuden innerhalb der geplanten Bauzone dieses Projektes protestierten.
In der Folge konzentrierte sich NDMBG auf lokale aktivistische Themen und engagierte sich gegen Zwangsräumungen in der Stadt. Zwangsräumungen sind ein brandheißes soziales Thema in Belgrad, viele Familien haben ihre Bleibe verloren nachdem private Inkasso-Unternehmen mit der Räumung vermeintlich nicht abbezahlten Wohnraumes begonnen hatten. In diesem Kampf hat die Initiative mit anderen linken Organisationen kooperiert. Unter dem Dach des gemeinsamen Netzwerks Vereinigte Aktion Dach über dem Kopf, dessen Slogan «niemand hungrig, niemand ohne Dach über dem Kopf» lautet, konnten einige Zwangsräumungen verhindert bzw. vertagt werden – sicherlich ein Grund ihres organisatorischen und politischen Erfolges. Durch aktivistische Basisarbeit und direkte Hilfestellungen für sozial gefährdete Menschen konnten sie Vertrauen aufbauen – sowohl zu Bürgerinnen und Bürgern als auch zu anderen linken Organisationen.
Innerhalb dieses Prozesses hat NDMBG einen bedeutenden Fortschritt in Richtung Einbeziehung sozialer Themen in das eigene Programm gemacht, so dass diese Initiative heute als rot-grüne Allianz bezeichnet werden könnte die sich mit Demokratiefragen, der Stärkung lokaler Selbstverwaltungsorgane, nachhaltiger Entwicklung und ökologischen Prinzipien beschäftigt.
Die eigene Wahlliste wurde von NDMBG ebenfalls inklusiv zusammengestellt indem Aktivistinnen und Aktivisten, mit denen sie im Vorfeld zusammengearbeitet hatte, eingeladen wurden sich der Kampagne anzuschließen. Hierdurch wurden vielfältige Möglichkeiten für zukünftige gemeinsame Aktionen mit anderen linken Akteuren aus Belgrad eröffnet. Die KandidatInnen von NDMBG waren überwiegend sehr jung und ohne parteipolitische Erfahrung. Die überwiegende Mehrheit der KandidatInnen waren zwischen 25 und 40 Jahre alt und kamen aus der hochgebildeten Mittelschicht. Die Infrastruktur der Initiative wird getragen von einigen zivilgesellschaftlichen Organisationen aus dem Umfeld der unabhängigen Belgrader Kulturszene. Ihre ersten politischen und aktivistischen Erfahrungen haben sie vor allem durch jahrelange Versuche der Besetzung verlassener öffentlicher Gebäude gemacht. Eine ihrer öffentlich markantesten Aktionen war die Besetzung und Inbetriebnahme des verlassenen Kinos Zvezda.
Das Regime von Aleksandar Vučić hat auf die Initiative mit einer brutalen und teilweise gewalttätigen Kampagne reagiert. Die KandidatInnen der Initiative waren Opfern konstanter verbaler Angriffe und Androhungen physischer Gewaltanwendung – aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu Massenmedien hat die Initiative darüber zumeist in den sozialen Medien berichtet. Illustrativ diesbezüglich war der Angriff einiger mit Vladimir-Putin-Masken auf dem Kopf ausgestatteten Personen auf AktivistInnen der Initiative, die sich auf dem Gelände der städtischen Mülldeponie Vinča befanden um auf die Nachteile der Private-Public-Partnerschaft mit dem französischen Unternehmen Suez aufmerksam zu machen. Während der Wahlkampagne haben Mitglieder der Initiative mehr als 50 Anzeigen wegen Gefährdung und Drohungen eingereicht, jedoch ohne Reaktionen der verantwortlichen Institutionen.
Unterstützt wurde NDMBG durch Yannis Varoufakis von DiEM25 und Ska Keller, der Europaabgeordneten der Grünen. Für die konkrete politische Arbeit hingegen war die Unterstützung durch die Zagreber Plattform Zagreb je naš am bedeutendsten.
Abschließende Eindrücke
Auch wenn die Opposition im Rahmen ihrer Kampagne die Abwahl der SNS als entscheidendes Thema setzte, überraschte die Kräfteverteilung am Ende niemanden. Aleksandar Vučićs Partei hat grünes Licht bekommen um ihren politischen Kurs fortzusetzen – einem Kurs der vor allem aufbaut auf der Herstellung eines «guten Investitionsklimas» durch Privatisierung öffentlicher Unternehmungen, der Liberalisierung des Arbeitsmarktes und einer Kürzung sozialer Leistungen. Dieser Politik effektiven Widerstand entgegenzustellen ist schwierig, nicht nur aufgrund der peripheren Position Serbiens, sondern vor allem weil keine politische Kraft sich messen kann mit dem parallel ausgebauten Kontroll- und Lenkungssystem der SNS unter Aleksandar Vučić. Dieses System wird immer stärker, aggressiver und repressiver. Es ist Tatsache, dass gegen Wählerstimmen Jobs vergeben und Nahrung verteilt wird – und zwar in einem ökonomisch und sozial devastierten Serbien. Dies führt zur Paralyse nahezu jedweder progressiver linker politischer Option die sich, im Gegensatz zum liberalen Mainstream, nicht in autorassistischen Vorwürfen oder Morallektionen ergeht. Auf welche Art und Weise kann sich die Linke argumentativ profilieren wenn der Belgrader Bürgermeister Siniša Mali auf eine Journalistenfrage, warum die Neujahrsbeleuchtung in der Stadt von September bis März angebracht ist, nonchalant antworten kann: «Warum denn nicht?»